Dies Domini – 27. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Es sind unruhige Zeiten. Wieder einmal. Oder gab es einmal Zeiten, die nicht unruhig und von Sorgen geprägt waren? Es sind nicht nur die großen Plagen der Welt, die uns die Nachrichten tagtäglich oder sogar stündlich in die digitalen Timelines oder durch die Fernseher in die Wohnzimmer spülen. Das ganze Unheil der Welt kommt uns so nahe. Dabei hält das eigene Leben doch schon ein gerüttelt Maß an Krisen bereit: Krankheiten, Sorgen um die Kinder, Beziehungskrisen, die Pflege älterer Angehöriger – das Leben könnte anders schön sein.
Es gibt viele Strategien, sich von den Herausforderungen, die das Leben unausweichlich bereithält, zu schützen. Das Ignorieren von Nachrichten, Flucht vor der Weltwirklichkeit in Tagträume, die Fokussierung auf das Schöne der Kultur; Glaubende suchen außerdem nicht die Entlastung durch Delegation im Gebet: Gott möge doch endlich helfend eingreifen!
Eine ähnliche Situation liegt auch dem Evangelium vom 27. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C zugrunde. Sie findet sich im Lukasevangelium im unmittelbar vorhergehenden Absatz. Dort spricht Jesus zu seinen Jüngern:
„Es ist unvermeidlich, dass Ärgernisse kommen. Aber wehe dem, durch den sie kommen! Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er für einen von diesen Kleinen zum Ärgernis wird. Seht euch vor! Wenn dein Bruder sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er umkehrt, vergib ihm! Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will umkehren!, so sollst du ihm vergeben.“ (Lk 17,1-4)
Es ist unvermeidlich, dass Ärgernisse kommen – so ist das Leben. Es gibt in dieser raum-zeitlichen Existenz, die – eben, weil sie raum-zeitlich ist – von Werden und Vergehen geprägt ist, immer Ärgernisse, Herausforderungen, ja, auch das Leid, das Menschen subjektiv empfinden, scheint Teil der Schöpfung zu sein wie wir sie kennen. Heißt Jesus das Leid gut? Mitnichten, denn er verflucht den, durch den sie kommen. Wer aber ist das?
Jesus denkt offenkundig nicht an einen mächtigen Widersacher oder göttlichen Gegenspieler. Er denkt an Menschen, an Zeitgenossen, Weggefährten, Menschen, di unter uns sind. Deshalb mahnt er an, den Bruder zurechtzuweisen. Das ist eine erste Erkenntnis: Dem Bösen zu begegnen ist eine zwischenmenschliche Herausforderung. Das Böse fällt nicht vom Himmel. Es kommt auch nicht aus der Unterwelt. Das Böse ist menschengemacht.
Nun könnte man einwenden, dass es sicher böse Menschen gibt, die Böses bewirken. Kein Zweifel: Der russische Angriff auf die Ukraine ist das Werk Putins, der Krieg in Nahost hat seine Ursache in dem genozidalen Massaker der Hamas am 7.10.2023, dem 1.200 Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen – und auch die vielen anderen Kriege in der Welt sind menschengemacht. Kein Krieg ist gottgewollt. Dabei weist Gott den Menschen zu Recht. Wenn es von Gott sowohl im Alten wie im Neuen Testament heißt:
„Mein ist die Rache!“ (Dtn 32,35 und (Röm 12,19)
dann ist damit die Aussage eindeutig, dass es – wenn überhaupt – allein Gottes Sache ist, Vergeltung zu üben. Dem Menschen ist es eigentlich nicht gestattet, Leben zu nehmen – willkürlich ohnehin nicht. Gott ist im Gegenteil ein Freund des Lebens (vgl. Weish 11,26). Er liebt das Leben und gibt das Leben. Seine Verheißung ist das Leben:
„Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen.“ (Dtn 30,19)
In der Verheißung schwingt ein Freiheitsprinzip mit. Der Mensch hat die Wahl zwischen Segen und Fluch. Wählt er den Segen und folgt der göttlichen Weisung, wird er das Leben haben. Wendet er sich ab, wirft er sein Leben weg. Gott will das Leben, wählt der Mensch es auch?
Aber wie ist es mit jenen Untiefen des Lebens, die der Mensch scheinbar nicht selbst verursacht: Naturkatastrophen kommen über den Menschen, ohne dass er sie beeinflussen könnte. Daran besteht kein Zweifel!
Aber auch hier ist der Mensch nicht nur ohnmächtig. Die Altvorderen haben die Natur weder als Objekt betrachtet noch als romantisches Panorama für schöne Stunden. Sie haben auch nicht mit der Natur gelebt, sondern in der Natur. Die Altvorderen – und heute noch viele indigene Völker – haben sich als Teil der Natur verstanden. So entstanden ein Wissen und Anerkennen der Kräfte der Natur, die der Mensch eben nicht bezwingen kann. Wen man aber nicht bezwingen kann, den muss man umarmen – oder sich mindestens mit ihm arrangieren. Ein Beispiel: Küstenbewohner wissen oft, dass das Meer unberechenbar ist. Springfluten und Tsunamis gehören zum Meer dazu. Niemand wohnte früher direkt am Meer, um die romantischen Sonnenuntergänge genießen zu können. Im Gegenteil: Die Altvorderen wohnten oft kilometerweit vom Meer entfernt – weil sie wussten, dass das Meer überraschend an Land kommen konnte. Heute klagen viele, die sich ihr Häuschen mit Meerblick teuer erkauft haben, Gott an, warum er nicht hilft. Dabei hilft er doch! Er gibt Verstand und Erkenntnisfähigkeit – und allzu oft schickt er auch heute noch Propheten, die warnen – vor Pandemien, dem Klimawandel oder der Verteidigungsunfähigkeit (es gibt halt immer Menschen, die das Leben nicht achten). Wie zu allen Zeiten, werden die Propheten aber auch heute verlacht, vertrieben oder mit dem Tode bedroht. Wie zu allen Zeiten wird auch Gott für das Unheil verantwortlich gemacht. Wie zu allen Zeiten werden in betender Entlastungsdelegation die Hände in den Himmel gehoben und man ruft mit den Aposteln im Evangelium vom 27. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C:
„Stärke unseren Glauben!“ (Lk 17,5)
Die Antwort Jesu ist frappierend. Er spiegelt die Bitte zurück:
„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanz dich ins Meer! und er würde euch gehorchen.“ (Lk 17,6)
Er sagt nicht: Betet mehr und kräftiger! Er tadelt den Unglauben der Jünger. Der nämlich besteht darin, dass sie selbst nicht handeln wollen. Das folgende Gleichnis macht das nachgerade unverschämt deutlich:
„Wenn einer von euch einen Knecht hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Komm gleich her und begib dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich, bis ich gegessen und getrunken habe; danach kannst auch du essen und trinken. Bedankt er sich etwa bei dem Knecht, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde?“ (Lk 17,7-9)
Damit sind die Verhältnisse klargestellt: Gott ist der Herr, nicht der Mensch. Nicht der Mensch ruft Gott wie einen Kellner an, der gefälligst zu liefern hat, sonst wird ihm das Trinkgeld gestrichen; der Mensch ist vielmehr mitwirkungspflichtig und hat seinen Job zu tun. Gott schuldet ihm keinen Dank. Im Gegenteil: Der arme Knecht im Gleichnis hat keinen Anspruch auf Feierabend. Es ist nie zu Ende. Es gibt keine Zeit auszuruhen. Auch der Mensch kann sich nicht zurücklehnen und sagen: Jetzt ist es gut! Jetzt soll Gott es mal richten. Zuerst muss der Mensch das Seine beitragen – mit den göttlichen Gaben des Verstandes, der Erkenntnisfähigkeit und seinen Händen, seinem Herzen, seinen Sinnen hat er zu tun, was er tun kann. Und das ist offenkundig mehr, als man glaubt. Packen wir es also an. Die Juden nennen es „Tikkun Olam – Die Reparatur der Welt“: Es liegt auch heute an uns selbst, dass die Welt wieder ein Stück besser wird.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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